Mit meinem Chef komme ich absolut nicht klar – was kann ich tun?
- Jürgen Detlefsen
- 25. Feb.
- 4 Min. Lesezeit

Jeder Mensch erlebt seine berufliche Umgebung auf eine ganz eigene Weise. Während manche Mitarbeiter mit ihrem Vorgesetzten gut zurechtkommen, fühlt sich manch einer unterdrückt, unfair behandelt oder sogar schikaniert. Doch wie kommt es, dass ein Chef als hinterhältig, ignorant und sogar als tyrannisch wahrgenommen wird? Und was kann man tun, um aus dieser belastenden Situation herauszukommen?
Ich will von zwei Klienten erzählen. Die Namen sind natürlich geändert, und die tatsächliche Situation war im wahren Leben viel komplexer, die Spannungen zum Teil viel subtiler als hier dargestellt. Ich will nur eine ungefähre Idee geben. Fangen wir mit Anna an.
Anna arbeitet seit drei Jahren in einem mittelständischen Unternehmen. Ihr Chef, nennen wir ihn Herrn Meier, ist bei allen für seine cholerischen Ausbrüche bekannt. Wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen läuft, schreit er Mitarbeiter vor versammelter Mannschaft an, macht abfällige Bemerkungen und setzt sie unter Druck. Zum Beispiel, indem er unrealistische Fristen setzt. Anna fühlt sich verunsichert, traut sich Rückfragen bei Unklarheiten zu machen, und beginnt, im Stress immer häufiger Fehler zu machen. Diese vertuscht sie dann, denn sie hat Angst vor den Konsequenzen und der Stress wird immer größer.
Jochen hingegen erlebt eine andere Art von Tyrannei. Seine neue Vorgesetzte, Frau Schmitt, erlebt er als kühl und manipulativ. Sie verteilt absichtlich widersprüchliche Anweisungen und kritisiert ihn dann dafür, wenn er ihre Erwartungen nicht erfüllt. Zudem setzt sie ihn regelmäßig durch subtile Drohungen unter Druck, etwa indem sie andeutet, dass seine Position nicht sicher sei. Jonas fühlt sich ohnmächtig und hat ständig das Gefühl, auf einem unsicheren Fundament zu stehen. Die Beförderung, von der er noch vor kurzem geträumt hat, rückt in weite Ferne.
Was kann man machen? Allgemeine Regeln sind häufig auf den individuellen Fall nur begrenzt anwendbar. Deshalb gibt es ja das Coaching… Aber natürlich helfen zum gedanklichen Einstieg ein paar Basics: Zum Beispiel: erst einmal die eigene Position genau angucken und sich selbst einige Fragen stellen: Was genau empfinde ich als tyrannisch? Geht es bei mir um einen autoritären Führungsstil, unangemessene Kritik oder emotionale Herabsetzung? Und ist dieses Verhalten konstant oder in bestimmten Situationen verstärkt?
Immer sind wir alle Teil eines sozialen Gefüges, in dem jedes Verhalten auch eine Reaktion auf andere Dynamiken sein kann. Startfragen an sich selbst können sein: Welche Rolle spiele ich in diesem Gefüge? Gibt es Momente, in denen der Chef auch anders agiert? Und was unterscheidet diese Momente von den schwierigen Situationen?
Welche Wege zur Veränderung gibt es? Lösungen entstehen oft nicht dadurch, dass man sich auf das Problem konzentriert, sondern indem man sich fragt: Was wäre eine wünschenswerte Alternative? Wie würde sich mein Arbeitsalltag anfühlen, wenn mein Chef mich respektvoll behandeln würde? Was könnte ich selbst dazu beitragen?
Eine Möglichkeit ist, die eigene Kommunikation zu reflektieren. Könnte ich meine Anliegen klarer formulieren? Habe ich bereits versucht, in einem ruhigen Moment ein Gespräch zu suchen? Manchmal sind Vorgesetzte sich nicht bewusst, wie ihr Verhalten auf andere wirkt – und eine wertschätzende Rückmeldung kann erste Veränderungen anstoßen.
Gleichzeitig kann es hilfreich sein, sich Unterstützung zu suchen. Gibt es Kolleginnen oder Kollegen, die Ähnliches erleben? Gibt es innerhalb des Unternehmens Ansprechpersonen wie eine Personalabteilung oder einen Betriebsrat? Und welche Ressourcen habe ich außerhalb des Jobs, um mein eigenes Wohlbefinden zu stärken?
Zurück zu Anna. Anna begann, ihre Ängste und Reaktionen bewusster wahrzunehmen. Sie reflektierte, dass sie oft automatisch in eine defensive Haltung ging und sich nicht traute, ihre eigenen Grenzen aufzuzeigen. Nachdem sie sich Unterstützung im Kollegenkreis gesucht hatte, fasste sie den Mut, in einem ruhigen Moment mit Herrn Meier zu sprechen. Sie formulierte klar und mit Beispielen (wir haben das geübt!), dass die Arbeitsaufträge oft unklar seien, sie unter seinen öffentlichen Anschuldigungen leide und dass negatives Feedback unter vier Augen stattfinden und sachlich belegt werden soll. Das ging nicht auf einmal, sondern in kleinen, beherrschbaren Einzelschritten. Ihr Chef war zunächst überrascht, zeigte aber im Laufe der Zeit eine gewisse Einsicht, sodass sich die Situation allmählich entspannte.
Jochen entschied sich, systematisch auf die widersprüchlichen Anweisungen von Frau Schmitt zu reagieren. Er begann, ihre Anweisungen mündlich zu wiederholen und Wichtiges schriftlich festzuhalten und vorab eine schriftliche Bestätigung einzuholen. Als er dies mehrfach tat, merkte er, dass Frau Schmitt weniger Druck auf ihn ausübte, da sie sich ihrer manipulativen Taktiken zunehmend bewusst wurde. Zudem stärkte er seine Position, indem er sich Schritt für Schritt mit anderen Führungskräften im Unternehmen vernetzte und so seine Abhängigkeit von ihr reduzierte.
In beiden Fällen lautet das Zauberwort Selbstwirksamkeit. In belastenden Situationen ist das Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit entscheidend – also das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Dinge positiv zu beeinflussen. Kleine Veränderungen im eigenen Verhalten oder in der Wahrnehmung können bereits eine große Wirkung haben. Was kann ich heute tun, um mich ein Stück weit besser zu fühlen? Welche meiner Stärken kann mir helfen, mich innerlich unabhängiger von meinem Chef zu machen?
Letztlich geht es nicht darum, Vorgesetzte zu ändern, sondern den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern - das schafft Sicherheit, Wohlbefinden und, idealerweise, Spaß an der Arbeit. Und oft zeigen sich in kleinen Schritten neue Perspektiven, die vorher vielleicht nicht sichtbar waren. Denn auch wenn das Verhalten anderer Menschen außerhalb unserer direkten Kontrolle liegt, bleibt eines sicher: Die Art, wie wir damit umgehen, liegt in unseren Händen.
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